Geher und Steher

von Romke van de Kaa.

Meine Schreibkarriere begann in England. Der Gartenschriftsteller Christopher Lloyd, mein damaliger Arbeitgeber, führte mich bei der Redaktion von ‘Amateur Gardening’ ein. Als Niederländer sollte ich dann mal über Blumenzwiebeln schreiben, befand man dort. Holländer sind schließlich synonym mit Tulpenzwiebeln. Da traf es sich, daß Blumenzwiebeln meine Jugendliebe sind. Ich bin aufgewachsen im „bollenstreek“, der Region, in der die Blumenzwiebeln gezüchtet werden, und von kleinauf an habe ich in meinen Ferien auf Blumenzwiebelfeldern und in Blumenzwiebelscheunen gearbeitet.

Nachdem ich ein Jahr lang über Blumenzwiebeln geschrieben hatte, fragte ich beim Chefredakteur einmal vorsichtig nach, ob ich vielleicht auch über andere Pflanzen schreiben dürfte. Ich wollte gerne einmal über Steingartenpflanzen berichten oder über Seerosen. Ach nein, lieber nicht, lautete die Antwort. Doch irgendwann komme der Moment, wo ich dann doch wirklich über Blumenzwiebeln ausgeschrieben wäre, warf ich ein. Kein Problem, meinte der Chefredakteur, nach einem Jahr solle ich einfach wieder von vorne beginnen. Leser haben ein kurzes Gedächtnis. So schrieb ich also tapfer weiter über Blumenzwiebeln. Und noch immer schreibe ich häufiger über die Blumenzwiebeln als über irgendeine andere Pflanze. Es gibt ja auch noch immer etwas Neues darüber zu sagen, denn im allgemeinen werden in der Presse nur die günstigen Seiten der Blumenzwiebeln beleuchtet. Glaubte man den Zeitschriften, dann gehen Blumenzwiebeln nie ein, werden sie niemals von Wühlmäusen aufgefressen und blühen sie stets zuverlässig jahraus, jahrein. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das weiß jeder, der sich praktisch mit Gärtnern beschäftigt.

Blumenzwiebeln kann man einteilen in Geher und Steher. Von den (Ver-)Gehern bekommt man immer weniger im Garten – von den (Be-)Stehern immer mehr. Ein notorischer Geher ist die Hyazinthe, die bereits nach nur einer Saison verschwunden ist, doch auch die meisten Tulpen schwinden. Wahrscheinlich kennen Sie das Phänomen: in ihrer ersten Saison nach dem Pflanzen blühen die Tulpenzwiebeln überschwenglich, in ihrem zweiten Jahr produzieren sie noch ein paar grüne Halme und nach drei bis vier Jahren sind sie dann spurlos verschwunden. Tulpen werden in unterschiedliche Gruppen eingeteilt. Es gibt botanische Tulpen, womit man die Wildarten meint, obwohl es natürlich ein eigenartiger Ausdruck ist: botanische Tulpe! Tulpen sind grundsätzlich botanisch, man spricht ja auch nicht von einem zoologischen Pferd. – Daneben gibt es allerlei Gruppen gezüchteter großblumiger Tulpen, von denen die Darwin-Hybriden die spektakulärsten sind, mit Stengeln wie Besenstielen und Blüten von der Größe eines Kinderkopfes. Es wäre übertrieben zu behaupten, alle modernen großblumigen Tulpen seien Geher, und alle wilden kleinblütigen Steher, doch die Erfahrung zeigt, Wildarten halten es im Garten zumeist länger aus als die durchgezüchteten großen Tulpen. Eine Frage, die bei vielen angesichts blühender Blumenzwiebelfelder aufkommt, ist: Wie kommt es nur, daß die Tulpen da in Hillegom und Lisse jahrein, jahraus so reich blühen, während sie im eigenen Garten ständig nach ein paar Jahren damit aufhören? In Katalogen wird dieses Phänomen mit keinem Wort erwähnt. Dabei gibt es gleich ein paar Antworten auf die Frage: zu allererst mögen viele Blumenzwiebeln – so auch Tulpen – Kalk. Nun enthält der Boden in der Blumenzwiebelregion von Natur aus ziemlich viel Kalk, doch kalkreiche Erde kommt in weiten Teilen der Niederlande nicht vor. Wir haben verhältnismäßig viel Moorboden und Sand. Wer auf solch saurem Boden gärtnert, tut gut daran, seinen Tulpen gleich beim Pflanzen eine kräftige Dosis Kalk mitzugeben. Kalkdünger ist überall in großen Säcken erhältlich und nicht teuer.

Zweitens – und viel wichtiger – kommen Tulpen aus warmen, wüstenähnlichen Gebieten. Sie brauchen Hitze, um jedes Jahr gut blühen zu können. Blumenzwiebelzüchter kommen diesem Bedürfnis nach Wärme entgegen, indem sie die Tulpenzwiebeln jedes Jahr roden und während des Sommers trocken und warm in Blumenzwiebelscheunen lagern. Ein leidenschaftlicher Gärtner könnte dasselbe tun, doch ist dies ein Menge Arbeit. Eine andere Möglichkeit ist, das jeweilige Mikroklima im Garten zu nutzen, und die Tulpen an eine möglichst warme Stelle zu pflanzen, zum Beispiel südwärts an den Fuß einer Mauer nach Süden oder nahe am Rand einer Terrasse, wo die Steine zusätzliche Wärme abstrahlen. Ein Südhang ist natürlich ideal, und auch ein Platz gleich hinter einem Backsteinmäuerchen ist nicht verkehrt. Und schließlich ist es wichtig, Tulpen auszuwählen, die eine starke Kondition haben. Die findet man eher unter den Wildarten als bei den durchgezüchteten Tulpen.

Beispiele für botanische Tulpen, die es jahrelang im Garten aushalten können, sind Tulipa tarda, T. urumiensis und T. turkestanica. T. tarda wird gut 10 cm hoch, ihre sternförmigen Blüten zeigen eine große buttergelbe Mitte und einen weißen Rand entlang eines jeden Blütenblattes. Jede Zwiebel produziert vier bis acht Blütenstengel – auf diese Weise bekommt man aus nur einer Zwiebel schon einen bescheidenen Blumenstrauß. Auch T. urumiensis treibt mehrere Stengel pro Zwiebel. Ihre Blüten sind innen gelb, mit roten und grünen Streifen auf der Außenseite der Blütenblätter. T. turkestanica wird etwas höher als die ersten zwei Arten – so ungefähr 20 cm – und blüht häufig schon im März, mit drei bis fünf Blüten pro Stengel. Ihre Blüten sind cremeweiß mit einer goldgelben Mitte. Alle diese kleinen Tulpen kosten nicht mehr als 25 Eurocent pro Stück, und können deshalb großzügig gepflanzt werden. Man sei nicht knauserig, sondern denke spendabel und bestelle nächstes Jahr nicht zehn, sondern hundert.

Aus dem Niederländischen von Birgit Verstoep.

Der Text erschien in GRÜNER ANZEIGER in dem Romke van de Kaa regelmäßig eine Kolumne hat.

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