Reisen ist des Gärtners Lust…

von Maria Mail Brandt

aus: www.garten-literatur.de

Was hat ein Gärtner zu reisen?
Ehre bringt’s ihm und Glück,
wenn er sein Gärtchen besorgt.

Die Frage ist uralt: “darf, kann, soll eigentlich ein Gärtner (eine Gärtnerin) reisen oder nicht? Goethes Gedicht drängt ein “Nein” auf…
“Ich habe die Lust zu reisen gegen einen Rosenstrauch eingetauscht”
sagt sinngemäß auch ein Zitat Hugo von Hofmannsthal’s. Ein großer Gartenfreund, Ihnen bekannt als humoristischer Schriftsteller, Wilhelm Busch ist nie gereist… Am Juli 30.7.1896 schreibt Wilhelm Busch an Johanna Kessler:

Ich war immer daheim, grub, krautete, stochert, handhabte die Giesskanne, besah alles, was wuchs, tagtaeglich genau und bin daher mit jeder Rose, mit jedem Kohlkopf, mit jeder Gurke intim bekannt. Eine etwas beschränkte Welt, so scheint’s. Und doch, wenn man’s recht erwägt, ist all das Zeugs, vom dem jedes unendlich und unergründlich ist, nicht weniger bemerkenswerth als Alpen und Meer, als Japan und China.

Beverly Nichols beschreibt ebenfalls anschaulich die Gewissensbisse der Gartenfreunde, wenn sie sich auf Reise begeben:

“Oft, wenn das Auto schon draussen auf der Strasse schnauft, bin ich zurückgelaufen, um einen letzten Blick in den Garten zu werfen – da war eine Lilie, die ich vergessen hatte… oder eine Glockenblume, die schon fast blau war… Verzweifelt laufe ich den Gartenpfad entlang, während das Auto von ferne rattert und pocht…”

Teilweise muß man den Dichtern recht geben, denn unser Garten eigener Garten bietet ja das ganze Jahr solche Erlebnisvielfalt, daß man nicht unbedingt in die Ferne schweifen muß. Also nimmt man sich vor, daß man dieses Jahr zu Hause bleiben wird, in der eigenen Idylle, weil man ja im Garten viel zu viel “verpaßt”…, weil der Garten nachher schrecklich aussieht und weil es doch im eigenen Garten genug zu “erleben” gibt? Ach, der Vorsatz hält nicht lange und schon zieht es uns wieder in die Ferne…Andere Länder und andere Menschen haben eben auch schöne Gärten!

Ein Volk erkennt man an seinen Gärten. Schon in Europa: welch ein Unterschied zwischen den Gärten Deutschlands, wo alles verboten ist, was nicht erlaubt ist (und wie wenig ist dort erlaubt) und denen Englands, wo alles erlaubt ist, was nicht verboten ist (und wie wenig ist dort verboten). (aus: Richard Katz, Übern Gartenhag München 1961)

Selbst in Johann Wolfgang von Goethe`s Brust lebten – trotz des oben zitierten Gedichtes – zwei Seelen, wie seine Briefe und Aufzeichnungen und sein Werk “Die italienischen Reise” beweisen. Immer wieder verließ er seinen geliebten Garten und schaut sich begeistert die damals in Europa berühmten Garten- und Parkanlagen und auch fremde Privatgärten an. Damals dauert die Anreise ja noch viel länger und so war Goethe oft sogar monatelang unterwegs… Heute würde man ihn wahrscheinlich als “Gardentourist” bezeichnen. In einem Gedicht verabschiedet er sich zwar poesievoll von seinen Bäumen.

Lebet wohl, geliebte Bäume!
Wachset in die Himmelsluft.
Tausend liebevolle Träume
schlingen sich durch euren Duft
Doch was steh ich und verweile?
Wie so schwer, so bang ist’s mir?
Ja, ich gehe! ja, ich eile!
Aber, ach! mein Herz bleibt hier!

“Der Botanische Garten (Padua) ist desto artiger und muntrer. Obgleich jetzt nicht in seiner besten Zeit. Morgen soll ihm der größte Theil des Tages gewidmet werden. Ich habe heute im Durchgehen schon brav gelernt.” (26.9.1786)

Schaffhausen. Höchst anmuthige Abwechslung von großen und kleine Gärten und Höfen. (17.9.1797) Beym Hinabsteigen nach dem flächern Ufer Gedanken über die neumodische Parksucht. Der Natur nachzuhelfen, wenn man schöne Motive hat, ist in jeder Gegend lobenswürdig; aber wie bedenklich es sey, gewisse Imaginationen realisieren zu wollen, da die größten Phänomene der Natur selbst hinter der Idee zurückbleiben. (18.9.1797)

Hier (im Wörlitzer Park] ists jetzt unendlich schön. Mich hats gestern Abend, wie wir durch die Seen, Kanäle und Wäldchen schlichen, sehr gerührt, wie die Götter dem Fürsten erlaubt haben, einen Traum um sich herum zu schaffen. Es ist, wenn man so durchzieht, wie ein Märchen, das einem vorgetragen wird, und hat ganz den Charakter der elysischen Felder; in der sachtesten Mannigfaltigkeit fließt eins in das andre; keine Höhe zieht das Auge und das Verlangen auf einen einzigen Punkt; man streicht herum ohne zu fragen, wo man ausgegangen ist und hinkommt. Das Buschwerk ist in seiner schönsten Jugend, und das ganze hat die reinste Lieblichkeit (Brief an Charlotte Stein vom 14. Mai 1778)

Man sieht, Goethe hat – wie wir heute, Ideen und auch Pflanzen von seinen Reisen mitgebracht. Nach dem Besuch des Wörlitzer Parkes schritt Goethe zur Tat und beteiligte sich maßgeblich an der Umgestaltung der ursprünglich barocken Anlage des Belvedere-Parks (das “Sanssoucis” der Weimarer Herzöge) zu einem englischen Park – eine “Frucht” eines Gartenbesuches! Oft schickte Goethe von seinen Reisen seiner Frau nach Weimar Samen oder Pflanzen. Einmal sind es 24 Dictamnus albus „als Gartenschmuck das Schönste, was man sehen kann“, ein andermal Samen von Viola x wittrockiana „sehr wenig, weil er selten ist. Lasst also den Raum unter dem Stein graben, von Unkraut reinigen und recht sauber zurechtemachen und besät ihn weitläufig mit dem wenigen. Diese Zweige [von Cypressen} bracht ich aus dem Garten Giusti, der eine treffliche Lage und ungeheure Cypressen hat (17.9.1786)

Und – liebe Besucher, die Sie auf diese Seiten schauen – hier gibt es ja sogar eigens für Gartenfreunde kreiierte Reisen; das kannte man zu Goethes Zeiten natürlich noch nicht.

Wie viel man doch lernt, wenn man fremde Gärten besucht! Ich brachte von einem solchen Besuch so viele Ideen heim, daß ich mir wie ein überschäumendes Sektglas vorkam. So viele, daß ich nicht weiß, wo ich beginnen soll! (aus: Vita Sackville-West, Aus meinem Garten Frankfurt 1986)

Als Gartenreisende ernten Sie – abgesehen von dem hohen Erlebniswert – viele Früchte, denn ein Garten ist ja nie fertig. Wie sonst sollte man als Gartenfreund neue Pflanzen entdecken, bessere Sorten, Inspiration für die Planung und Bepflanzung des eigenen Gartens bekommen, Erfahrungen austauschen (mit den Mitreisenden oder den Besitzern der besuchten Gärten) – wenn nicht beim Besuch fremder Gärten und Gärtnereien? Und man hat sogar Gelegenheit, in private Gartenanlagen hineinzudürfen, die sonst nicht zugänglich sind.

Gartenreisen sind zu anstrengend? Lieber einen Strandurlaub machen? Aber der Genuss dieser Gartenschönheiten beflügelt und vertreibt alle Müdigkeit – das kann ich Ihnen versichern. Und schließlich besichtigt man ja nicht nur Gärten – auch andere wichtige Sehenswürdigkeiten oder Erlebniswerte kommen ja nicht kurz. Und es kann ja auch ein “sogenannter” Kurzurlaub – ja sogar ein Tagesausflug sein, von dem man bereichert zurückkommt….

Trennung vermindert die mittelmässigen und verstärkt die grossen Leidenschaften, wie der Wind die Kerzen zum Erloeschen und das Feuer zum Entflammen bringt (La Rochefoucald, Maximen)

Bitten Sie also “liebe” Verwandte, Bekannte oder Nachbarn, denen Sie für diese Zeit den Garten anvertrauen kann, ruhigen Gewissens wieder einmal um ihre Dienste. (Im Vertrauen gesagt – so hilflos ist die Natur ja nun auch wieder nicht. Sie kann sich doch auch ganz gut ohne den Menschen behelfen…). Treffen Sie vorausschauende Maßnahmen wie Verwelktes oder auch Knospiges abschneiden, damit es dann wieder blüht, wenn man zurückkommt, stellen Sie Balkonkästen auf die Terasse, damit sie dort mehr Wasser bekommen usw. usw. Karl Foersters klugen Rat möchte ich Ihnen auch nicht vorenthalten:

“Ein Gärtner reist nicht ohne Notizbuch und sauberes Taschentuch. Das Notizbuch zum Aufschreiben, das Taschentuch zum sanften Herabfallenlassen aus einer wunderschönen Pflanze, von der man guten Gewissens entweder 1 oder 2 Samenkörner oder einen kleinen Steckling nimmt.”

Und trösten Sie sich bei der Abreise vielleicht mit dem Zitat von Beverly Nichols:

“Ein Gartenliebhaber ist niemals von seinem Garten getrennt, ganz gleich, wo er sich befindet… Er braucht nur die Augen zu schliessen, und er kann nach Herzenslust in seinem Garten umherwandern.

Laßt uns Gartenfreunde also ruhig reisen, beides ausleben – die Gartenlust und die Reiselust – denn: “Das Reisen ist des Gärtners Lust…”