Form geben

von Romke van de Kaa a.d. Niederländischen von Birgit Verstoep – Wollte man die heutige Zeit benennen, so wäre “Retrozeit” kein schlechter Begriff. Alles ist “retro”: von Möbeln, Schuhen, Musik und Kleidung bis hin zu Häusern im Stil der 1930er-Jahre, komplett mit nostalgisch altmodischen Rosen im Garten. Modern scheint beinahe ein Schmähwort zu sein. Sogar IKEA verkauft Replikate von Omas Wandschränkchen, zwar in frischer skandinavischer Fichte, aber immerhin.

Auch Gartengestalter schauen lieber zurück als voraus, so scheint es. Hätten Sie vor zwanzig Jahren ein Huhn aus Buchsbaum in den Garten gestellt, hätte jeder Sie ausgelacht oder der Spießigkeit bezichtigt. Doch jetzt kann man keine Gartenzeitschrift aufschlagen, ohne daß einem von jeder Seite das grüne Federvieh entgegengackert. Und wenn schon keine Buxushühner im Garten, dann aber wenigstens eine Wolkenhecke – das Statussymbol dieser Zeit: so eine unregelmäßig geschnittene Hecke, die an eine Hügellandschaft, Gewitterwolke oder einen Strunk Brokkoli denken läßt. Dies ist keine Kritik, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, denn ein solides Huhn aus Buchs oder eine Wolkenhecke ist nicht verkehrt und verleiht dem Garten im Winter gewiß mehr Form als eine amorphe Masse abgestorbener Stauden.

Und dreht sich bei der Anlage eines Gartens nicht schließlich alles um die Form? Farbe und Textur sind sicher wichtig, aber am allerwichtigsten ist doch die Form. Genau wie ein Architekt beim Entwerfen eines Gebäudes in Begriffen wie Licht und Schatten, Masse und Leere denkt, sollte auch ein Gartenarchitekt an die Arbeit gehen. Und ob Sie nun selbst dieser Gartenarchitekt sind oder für viel Geld einen solchen anheuern, tut nichts zur Sache. Form, darum dreht es sich – zarte Linien von Blumenstengeln vor dem Hintergrund einer massiven Hecke, der Schatten eines Baumes auf dem Rasen, Wolkenspiegelungen in einem Teich, wiegende Grashalme neben einem soliden Block aus Buchsbaum. Sind die Linien eines Gartens gut, kann die Bepflanzung nach Belieben “eingefüllt” werden.

Harold Nicolson und Vita Sackville-West waren die Eigentümer des nun weltberühmten Gartens von Sissinghurst Castle, in der englischen Grafschaft Kent. Sie hatten den Garten für sich selbst angelegt, darum sind die Wege dort auch so schmal und nicht wirklich berechnet für die Massen an Gartentouristen, die jedes Jahr busweise herangekarrt werden. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges meldete Nicolson sich bei seinem Regiment. Er sollte seinen Garten jahrelang nicht wiedersehen. Beim Abschied von seiner Frau Vita soll er gesagt haben: “Farewell, my dear; keep the paths clear and keep the hedges trimmed. The rest we’ll put right after the war.” Ob diese Anekdote nun wahr ist oder nicht – sie enthält auf jeden Fall eine tiefe Wahrheit: saubere Wege, geschnittene Grasränder und geschorene Hecken sind kein Schlußposten, sondern bilden die Essenz eines Gartens. Je üppiger die Bepflanzung, desto straffer muß der Rahmen sein.

Wer Interesse an der Formgebung im Garten hat, wird häufig eine Schwäche für’s Schnippeln haben. Formgeben durch Schnitt ist jahrhundertealt. Bereits auf Abbildungen römischer Gärten sind geschnittene Figuren und geschorene Hecken zu sehen. Dieses Schnippeln ist Formgeben, im Gegensatz zum Beschneiden beispielweise von Obstgehölzen oder Rosen. Weil aber “schnippeln” schnell etwas abfällig klingt, sprechen die meisten lieber von Formschnitt.

Nicht alle Bäume und Sträucher eignen sich für den Formschnitt, und doch sind dies mehr als den meisten Gärtnern bewußt ist. Früher sah man zuweilen noch Figuren, die aus Liguster geschnitten waren, doch heutzutage ist dies fast immer Buchs oder Eibe, Taxus. Obwohl sich außer Liguster auch die Kornelkirsche,Cornus mas, oder der Feldahorn, Acer campestre, genauso gut in Form schneiden lassen. Und in japanischen Gärten kann man sehen, wie Azaleen zu Pilzen geschoren werden. Doch es muß gesagt werden: Taxus undBuxus eignen sich wirklich außerordentlich gut für Formschnitte.

Eibe wird vor allem für größere Objekte, wie Säulen und Kegel, verwendet, während sich Buchs mehr für das feinere Werk eignet, wie Hühner, Küken und anderes Geflügel. Taxus muß lediglich einmal in der Saison geschnitten werden, im August oder September, während Buxus etwas schneller seine klaren Umrisse verliert und deshalb besser zweimal pro Jahr geschnitten werden kann, zum Beispiel in Juni und September. Man schneide und schere am besten an einem bewölkten Tag. Falls dies nicht möglich ist, mache man die zu beschneidenden Objekte zuvor naß, um ein Verbrennen der durchgeschnittenen Blättchen zu verhindern. Buxus hat – vor allem, wenn man große Schnippeleien, wie Lokomotiven, Elefanten oder Dampfschiffe damit macht – die Neigung, wie ein mißlungener Pudding auseinanderzufallen. Taxus ist da stabiler. Ein großer Vorteil der Eibe ist, daß gemachte Fehler leicht zu korrigieren sind; selbst alte Exemplare können bis auf den kahlen Stamm zurückgeschnitten werden. Man zügele dennoch seine Begeisterung und beginne eher einfach. Eine Kaffeekanne aus Taxus mag zwar Zeichen von Könnerschaft sein, doch ist es besser, erst an etwas schlichteren geometrischen Figuren zu üben.

Eine ganz eigene Kategorie ist das Schnippelwerk im Blumentopf, welches sowohl figürlich als auch abstrakt sein kann. Sehr geeignet für den, der lediglich eine Terrasse oder einen Balkon hat, doch sollte nicht vergessen werden, daß Pflanzen in Töpfen im allgemeinen mehr Wasser und Dünger benötigen. An‘s Wasser denkt man zumeist schon, doch je mehr gegossen, desto schneller wird der Dünger aus der Erde gespült. Die bekannte gelbbraune Laubfarbe bei Buchsbaum in Töpfen ist keine Krankheit, sondern Anzeichen eines Nährstoffmangels. Man gebe daher von März bis November jede Woche mit dem Gießwasser etwas flüssigen Dünger.

Verzweifeln Sie nicht, wenn es mit Ihrem Huhn oder Pfau nicht gleich glücken will. Formschnittkunstwerke sollten Spaß machen. Ein Huhn ohne Kopf ist auch lustig.