Nach Lincolnshire, um glücklich zu sein

Ein Reisebericht von Dietlind Dorbach

Die Gruppe steht unter dem Regenschirm und staunt: da vorne, der Herr in der typisch englischen Wachsjacke, der da so eifrig am Buchs schnippelt, soll der Vater der heutigen Eigentümer dieses überaus stattlichen Herrenhauses sein? Und nicht der Gärtner, wie es scheint? Die Reiseleiterin sieht die Gunst der Stunde im Sinne eines Gesprächsanlasses über Gärtnern, was in England immer funktioniert- und richtig, Herr Jarvis erweist sich als sehr aufgeschlossen und lässt sich auf die Initialfrage ein, ob das denn ein Einhorn ergäbe, wenn der Schnitt erst fertiggestellt ist. Ja, das sei das Wappentier des Hauses, Doddington Hall- und schon ist die Gruppe im Gespräch über die Vor- und Nachteile riesiger Anwesen und ihrem enormen Pflegeaufwand. Details wie die Mühen des Einrüstens kompletter Fassaden, um Mauerwurzler zu entfernen, werden diskutiert. Danach können die Regenschirme zusammengeklappt werden- und sind für den Rest der Gartenreise überflüssig, denn Lincolnshire ist eine der regenärmsten Gegenden Englands.

Überhaupt- Lincolnshire, die eher unbekannte Schöne, verkehrsarm, aber so reich an Herrenhäusern, Gärten- und sogar an cream teas, die der Englandbegeisterte sonst nur aus dem Süden kennt! Es geht los mit der „Mitnahme“ eines wunderschönen holländischen Gartens auf dem Hinweg, dann folgt eine komfortable Fährüberfahrt mit wirklich exzellentem Abendessen (u.a. frischer Lachs, diverse Salate und Nachspeisen, auch asiatische Gerichte) und am nächsten Tag steht auch schon unser Bus mit Fahrer für uns in England am Festland bereit.

Was folgt, ist ein Füllhorn bunter Impressionen: Hall Farm Gardens mit Tee im rosa angestrichenen Wohnzimmer bzw. dem yellow room und Hund Daisy, die wohlerzogen nur auf Streicheleinheiten warten (“She loves bus groups“), der Besuch bei einer alten Dame, ebenfalls mit Hund, aber brav im Zimmer bleibend, in der Old Rectory in East Keal. Häuser mit derart vielversprechenden „telling names“ halten fast immer ihr Versprechen, und so ist es auch hier: die Gruppe entspannt sich nach anregenden Fachsimpeleien mit scones und tea am Wasserbecken, liebevoll betreut von fünf englischen Ladies vom Women’s Institute. Es ist wie in einem Rosamunde Pilcher Film.

Wir reisen entlang der Lincolnshire Wolds, einem Hügelzug, durch unverdorbene, dünn besiedelte Landschaft zum Manor House in Hagworthingham. Die Besitzer sind so vorausschauend und zuvorkommend, dass sie uns bereits beim `pub meal´ im örtlichen Pub, The George & Dragon, abholen, und der vorausschauende Busfahrer fährt mit ihnen vor, um sich den Weg vorab anzuschauen. Als wir mit der Gruppe eintreffen, empfängt uns ein Oldtimer und ein Tusch aus dem privaten Musikinstrumente-Museum der Familie O’Connor: Musik ertönt, der Hausherr entpuppt sich als Besitzer von 12 Oldtimern und einer nagelneuen holländischen Drehorgelmaschine nebst diversen Musik-Abspielgeräten. Die Reiseleiterin, immer auf der Suche nach interessanten Details, fragt die Ehefrau beiläufig nach der Berufstätigkeit des Mannes. Er mache sein Geld in Zwiebeln, wird ihr beschieden. Zwiebeln? Ja, Küchenzwiebeln. Wohlgemerkt als Chef aller Zulieferer für englische Supermärkte. Seine Frau, so stellt sich bei weiterem interessierten Nachfragen heraus, hat einen Abschluss in horticulture ( Gartenbau). Als Studentin funkte es dann wenn auch unter Tränen –in eine Zwieblexperimentieranstalt. Nach verschlungenen Lebenswegen wurden die beiden dann doch ein Paar. Die Reisegruppe fühlt sich erneut wie im Film.

Kein Wunder, dass beim anschließenden Besuch von Harrington Hall Gardens, ebenfalls in Hagworthingham, die Gruppe bei Philip, dem head gardener (einer in England hoch angesehenen Position) gleich mehr vermutet. Der Tee wird in einem grünen Salon eingenommen; die anwesende Hausbesitzerin wirkt eher normal, doch ihr Mann war Banker in London. Hier wandeln wir im weitläufigen Garten, lernen etwas über rhubarb forcer, Tongefäße zur Anzucht von Rhabarber, sweet peas, die auf Küchenkrepp vorgezogen am besten gedeihen, diverse Exoten- und lustwandeln auf den Spuren von Lord Tennyson, der hier sein berühmtes „Come into the garden“ verfasste. Grandios! Lord Tennyson war hier auf der Terrasse, schaute über diesen ha-ha, von denen wir bereits viele sahen!

Immer wieder haben wir Gelegenheit zum Pflanzenkauf, von der die Gruppe auch reichlich Gebrauch macht, dank der Kapazität des Buses und entsprechender nurseries überall vor Ort, so auch in den Barnsdale Gardens des Geoff Hamilton. 38 Gärten, für jeden Geschmack ist etwas dabei: ein Gentleman’s Cottage garden, ein Artisan’s Cottage garden, ein First Time garden für Anfänger der Gartengestaltung, ein Teich & Torfgarten, ein mediterraner Garten, ein Land’s End Garten mit Holzhütte wie ein Tag am Meer- Geoff Hamilton war nicht umsonst das Paradepferd von BBC Gardener’s World.

Welch ein Kontrast zum nächsten Garten, einem Landschaftspark: Grimsthorpe Hall ist so riesig, das wir erst mit dem Bus durch das 12 qkm große Areal fahren. Wir besichtigen erneut auch das Innere dieses wunderschönen Anwesens und fühlen uns nobel- ein fürstliches Ambiente färbt eben doch ab.

Überhaupt sind es mindestens drei Reisen in einer: eine Gartenreise, eine Herrenhaus-Architektur-Reise, wie auch beim letzten Tag in Gunby Hall (inklusive des für England häufig inkludierten Geistes, der hier am Teich spukt) und einem Tag am Meer in Sutton-on-Sea mit seinen typischen bunten Umkleidehütten in allen Regenbogenfarben. Der letzte Garten, den wir dort bestaunen, ist vergleichsweise klein, aber oho: auch hier werden wir großzügig bewirtet, auch hier gibt es einen Pflanzenverkauf und viele Raritäten zu bewundern. Wohltuend ist, ein Stückweit wieder in die Realität normal geschnittener Gärten zurückzu-kehren.

Als der Bus Richtung Fähre (und einer erneut komfortablen Außenkabinen-Nacht) abfährt, stehen die Gastgeber Stephanie und John am Straßenrand und winken, ihren Hund auf dem Arm. – Auf nach Lincolnshire, um Vielfalt zu erleben und einfach glücklich zu sein.